Geburt als Initialzündung für eine sich vertiefende Sexualität


In meinen Kreisen mit Müttern und Einzelberatungen öffne ich den Raum für Themen, die häufig nicht angesprochen werden. Wie zum Beispiel die Sexualität nach der Geburt eines Kindes. Es ist so wichtig, sich dazu in einem geschützten und vertrauensvollen Umfeld auszutauschen.

Denn die offizielle Kommunikation dazu ist eher spärlich. Mütter bekommen kurz nach der Geburt die Information, dass sie 4-6 Wochen nach der Geburt keinen Geschlechtsverkehr haben sollen. Und bei der Untersuchung ca. 6 Wochen nach der Geburt wird das Verhütungsthema beim Gynäkologen angesprochen.

Diese Aussagen transportieren den Frauen und Männern, als wäre eine sich wieder entwickelnde Sexualität nach 4-6 Wochen zu erwarten und normal. Ist das nicht so, fühlen sich Frauen nicht selten komisch und Männer sind manchmal enttäuscht.

Ich nehme wahr, dass bei vielen Frauen, die Entwicklung einer wieder aufblühenden Sexualität länger dauert, da die Lust auf eine sexuelle Verbindung nach der Geburt geringer ist.

Anthropologisch gesehen ein logisches Verhalten, das zunächst hinsichtlich den Erwartungen grundlegende Entspannung schenkt. Aus evolutionärer Perspektive ist es normal, dass die Frau sich zunächst von der Geburt erholt und heilt. Damit erhält sie ihr eigenes Leben. Des weiteren legt sie den Fokus auf das Überleben und Gedeihen des Babys. Sie versorgt es, bevor sie erneut ein Baby empfängt. Der Fokus ist auf „Heilen & Gedeihen“ statt auf „Reproduktion“.

Beobachtet man den Körper, so so erkennt man die Umsetzung dieser evolutionären Erkenntnisse: Das Stillen der Babys verhindert meistens über einen längeren Zeitraum den Eisprung. Bei sexueller Erregung ist die Lubrikation geringer und erschwert dadurch den Geschlechtsverkehr. Auch der Bedarf der Frau an Berührung und Nähe nimmt in der ersten Zeit mit Baby häufig ab, da er durch die enge Symbiose mit dem Baby abgedeckt ist. Die Natur setzt also die evolutionären Erkenntnisse auf der körperlichen Ebene um.

Dass der Körper eine weitere Reproduktion verneint, steht nicht im Gegensatz zum aufblühenden Lustempfinden, das in der Zeit nach der Geburt trotzdem Raum bekommen darf. Meist liegen die Schlüssel für die Öffnung dieses Raums in der Verarbeitung der Geburt und dem Ankommen in der veränderten Lebenssituation in Partnerschaft und Familie. Wichtige Schlüssel, die ich an dieser Stelle nicht tiefer behandeln werde.

Ein weiterer Schlüssel ist die Annahme der körperlichen Veränderungen. Während der Schwangerschaft, der Geburt und im Jahr danach verändert sich der Körper einer Frau massgeblich. Über Monate weitet er sich, schafft Raum für neues Leben, ernährt es. Und gebärt über die Vagina oder den Bauch das Kind, bildet sich langsam wieder zurück und stellt sich auf das Versorgen des Babys ein. Es sind Höchstleistungen, die es bewundernd anzuerkennen gilt. Eine Faustregel besagt: Der Körper braucht für die Erholung nach der Geburt mindestens genauso lange, wie die Schwangerschaft dauerte. Und eigentlich noch länger. Das Wort „Rückbildung“ im weiteren Sinne kann suggerieren, dass sich der Körper wie vor der Schwangerschaft zurückbildet. Doch das ist schlichtweg nicht immer möglich und kann auch nicht das Ziel sein. Es geht darum, unserem wunderbaren Körper, der in seiner Schöpferkraft Leben hervorgebracht hat, in seinem neuen, tieferen Sein zu erfahren und zu lieben. Schwangerschaften hinterlassen oft Streifen, Narben, mehr Körperfülle und weichere Haut. Wir dürfen damit unseren individuellen Umgang entwickeln, frei von den überzogenen gesellschaftlichen und den eigenen hohen Erwartungen. Mit einem offenen wertfreien Forschergeist den veränderten Körper und die eigene Sexualität neu entdecken. Empfängnis und Geburt hängen unmittelbar mit Sexualität zusammen. Sind seelische und körperliche Erfahrungen im selben Kontext.

Und so kann der erste Schritt in die Sexualität bedeuten, der eigenen Lust wieder Raum zu geben. Lust auf sich zu haben. Mit sich selbst sein zu wollen. Sich selbst liebevolle Zuwendung zu schenken. Den Fluss des Lebens und der Lust wieder zu spüren und zu erfahren. So wie es sich gut anfühlt. Liebevoll mit sich selbst zu sein. Schwangerschaft und Geburt können das Frausein durch die erfahrene mütterliche Schöpferkraft vertiefen. Dieser Akt der Selbstliebe kann auch für Frauen, die in einem Heilungsprozess sind, sehr nährend wirken.

Die Lust auf sich überträgt sich auf alles. Lust auf das Leben, Lust auf das Leben mit Kindern, Lust auf den Partner, im Fluss sein. Mit Freude, Humor und Spass durch die Unwägbarkeiten des Alltags gehen. In dieser Erfahrung kann die eigene Sexualität neu geboren werden. Die Zuwendung zu sich selbst kann das Tor sein für die Zuwendung zum Partner. Mann und Frau, zwei Seelen, die sich auf dieser Welt gefunden und verbunden haben. Und durch ihre Liebe neues Leben erschaffen haben. Mit diesem Impuls kann sich die Sexualität auf einer neuen und vielleicht auch tieferen Ebene entfalten.

Es geht um die tiefe und nährende Verbindung. Als all das was wir sind. In all unserem Sein. Als zwei durch die Liebe verbunden Seelen, die im Liebesakt zu einer Einheit verschmelzen. Eins sind. Zwei Seelen, die in ihrer Vereinigung die Gnade erwiesen bekamen, neues Leben zu empfangen. Aus der Liebe heraus entsteht neues Leben. Durch eine Art Vereinigung mit dem Göttlichen, wie immer man es definieren mag. Das Kind als Verstofflichung der Liebe zwischen Mann und Frau.

Mit dieser Haltung nach der Geburt auf Sexualität zu schauen, eröffnet neue Perspektiven, die man gemeinsam mit dem Partner entdecken kann. Es geht um Liebe machen. Liebe leben. Dann ist die Geburt des Kindes eine Art Manifestation der Vereinigung zweier Seelen. Und die Sexualität die körperliche Sehnsucht nach dieser Vereinigung. Abseits von orgasmischen Höhepunkten und wann und wie lange man wieder Sex hat. Es geht um mehr. Es geht tiefer. Sexualität als eine intensive metaphysische Verbindung zum Partner, die auch körperlich gelebt wird. Dieser Blick befreit von Erwartungen. Und strahlt vor Liebe.

Wenn dieser Kern in der Partnerschaft entwickelt und gelebt wird, kann Sexualität mit einer Leichtigkeit wieder erwachen, wenn der Zeitpunkt dafür gekommen ist. Langsam, liebevoll, sanft und so wie es sein darf. Dann steht die Sexualität auf einem anderen Fundament. Und darf sich ohne Erwartungsdruck in ihren vielen Farben neu entfalten. Als Zeichen für die Liebe zweier Seelen. Und so erscheint der Gedanke auch wunderschön, sich neben dem friedlich schlafenden Baby zu lieben. Denn aus dieser Einheit und aus dieser Liebe entstand dieses Kind. Und in diesem Gefühl dürfen sich Mann und Frau und Kind begegnen.

Die Geburt eines Kindes kann eine bewusstseinserweiternde Grenzerfahrung sein. Sowohl körperlich durch die neue Erfahrung im Schoßraum. Als auch auf der geistigen und seelischen Ebene. Diese Veränderungen annehmen. Empfangen, was darin für uns liegt. Die Geburt eines Kindes als Initialzündung einer sich vertiefenden Sexualität.

Autorin: Andrea Scholaster * Deine Gefährtin *

Gerne begleitet Dich Andrea zum Thema Sexualität nach der Geburt und anderen Themen Rund ums Frau- und Muttersein deutschlandweit mit Online-Beratungen.

Das nächste Online-Seminar zum Thema „Sexualität nach der Geburt" gibt es am 13.5.2022 - Anmeldung www.deinegefährtin.de

Andrea ist Mutter von vier wunderbaren Kindern - drei an der Hand und ein Sternenkind im Herzen. Sie begleitet Sternen- und Erdenmütter durch die Zeit von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Sie ist leidenschaftliche Doula aus Überzeugung und systemische Beraterin mit ganzen Herzen. Ihr Angebot umfasst auch Frauenkreise für Schwangere, Blessingways und Closing-the-Bones Rituale. Des Weiteren unterstützt sie Dich in der Geburtsverarbeitung durch das Schreiben Deiner Geburtsgeschichte.

www.deinegefährtin.de


Zurück
Zurück

Closing the bones – Ein Schließungsritual

Weiter
Weiter

Mach mit bei der #femaleWorkChallenge 2021 und zeige uns, was und wie du arbeitest